NBA – Nur Blinde Aktionen?


„Früher war alles ganz anders!“


Ich mag diesen Satz eigentlich überhaupt nicht. Er klingt irgendwie verkalkt, frustriert und verbittert – aber an dieser Stelle fließt er aus tiefster Seele richtig genüßlich aus meinen Fingern in die Tasten.


Denn früher war im Fernsehen praktisch kein Basketball zu sehen. Vom Endspiel um die deutsche Meisterschaft gab es einen 3-Minuten-Zusammenschnitt im aktuellen Sportstudio, NBA-Ausschnitte gab es vielleicht einmal im Jahr, wenn ein Sender mal eine Lücke füllen mußte. Es gab kaum Basketball-Klamotten zu kaufen, schon gar nicht die ganzen NBA-Trikots, mit denen heute jeder herumläuft, und auch gute Schuhe bekam man nur schwer, vor allem ab Größe 46.


Du denkst jetzt wahrscheinlich: „Mann, wer das geschrieben hat, muß ja lange vor dem Krieg gespielt haben!“ Falsch! Dieser Zustand dauerte genau bis 1992, als das erste Dream Team in Barcelona auflief, und das ist gerade mal 6 Jahre her! Die Basketball-Fans in Deutschland trauten damals ihren Augen nicht, als plötzlich komplette Spiele live übertragen wurden. Ich saß nur noch vor der Glotze, um ja nichts zu verpassen, denn niemand wollte so richtig glauben, daß das auch noch nach Olympia so weitergehen sollte.


Es ging, und inzwischen ist Basketball aus dem Fernsehprogramm nicht mehr wegzudenken – aber was zuerst wie ein Traum war, wird für mich als Trainer immer mehr zum Alptraum.


Schauen wir uns mal einen typischen jugendlichen NBA-Fan etwas genauer an:


Er ist ganz verrückt nach Basketball, nein verrückt wäre eine Untertreibung, eher fanatisch, besessen… Er ist ein Riesentalent: schnell, kräftig, technisch schon fast perfekt. Er ist auch ehrgeizig: drei- bis viermal pro Woche Training, den Rest seiner Freizeit verbringt er auf diversen Freiplätzen. Wenn ihn seine Eltern einmal in den Urlaub verschleppen, irrt er tagelang mit glasigem Blick durch die fremde Stadt – verzweifelt auf der Suche nach einem Korb.


Soweit, so gut. Genauso war ich als Jugendlicher auch, und ich war immer ganz scharf darauf, Ferien bei meiner Oma in Augsburg zu machen, denn dort gab es direkt auf der anderen Straßenseite den Freiplatz der amerikanischen Kaserne. Oma sah mich immer nur zum Essen – oder auch nicht. Mein damaliger Trainer (Hartmut Diederich) war der beste Spieler den ich kannte – er hatte immerhin beim USC Mainz in der 1. Liga gespielt – und was er mir sagte, war das Maß aller Dinge.


Es gab keine anderen Vorbilder, schon gar keine Shaqs und Jordans, und ich hielt mich beim Dunking wahrscheinlich nur deshalb nie am Ring fest, weil es mir einfach nie jemand vorgemacht hatte.


Der Jugendliche heute hat dagegen ein großes Problem: wenn er nicht gerade selber spielt, sitzt er vor dem Fernseher – „Inside NBA“. Kein Schritt, kein Move, keine Geste seiner Idole entgeht ihm. Später in der Halle wird dann alles haargenau kopiert, was häufig ungefähr so aussieht:


Szene 1: 360beißindenringdoppelsaltopowerslamhängnocheinweilchenamringplayoftheweekdunk! WOW!!! Die anderen Typen sind sprachlos, und erst die Mädels … äähh, der Ring hängt plötzlich in 45o-Position, ist nur noch 2,70m hoch und das Brett ist gesplittert. Technisches Foul und Spiel verloren? Wieso das denn, bei Shaq geht’s doch auch? Ach so, in der NBA kostet jede Korbanlage 30.000 Dollar und bei uns 500 DM. Selbst die 12.000 DM teuren hydraulischen Anlagen in Camp Lindsey würde ein Shaq im ersten Versuch niedermachen! SCHADE eigentlich! Aber es sah geil aus!


Szene 2: Oneonfivefünfmaldurchdiebeinezweimalbehindthebackspinmovemonster- … äähh, leider daneben – was? Offensivfoul! Wieso das denn, bei Michael geht’s doch auch? Ach so, die dürfen in der NBA in der Defense nicht absinken! SCHADE eigentlich! Aber sah wieder geil aus!


Szene 3: playoftheweekunbelievablecrossoverdribblingpower … äähh, was, Schrittfehler? Wieso das denn, bei Shawn geht’s doch auch? Ach so, die dürfen in der NBA einen Schritt mehr machen als wir! SCHADE eigentlich! Aber sah trotzdem geil aus!


Szene 4: meingegenspielerziehtzumkorbich-könnteihmeigentlichdenwegzumachenaberich-laßihnextravorbeiunddannmonsterblockbisaufdietribüne … ääh, was denn, Foul? Aberichhabdochdenballgespielt! Ach so, bin nach dem Block voll auf ihn draufgesprungen! SCHADE eigentlich! Aber geil war’s schon!


Szene 5: nochzehnsekundenzuspielenundeinpunktrückstandichnehmdenballmachtmirplatzeinsgegendreiturnaroundfadeawayzweiandere-stehenfreiauchegalinyourfacebuzzerbeater … ääh, geblockt! Wieso das denn, Michael macht den doch auch immer rein? Ach so, der spielt schon etwas länger, ist etwas besser und trainiert etwas mehr! Schade eigentlich – jedesmal total geil ausgesehen, aber leider das Spiel verloren!



Was die meisten Kids heute vor lauter NBA-Top-Tens, Monster-Slam-Highlights und Instant – Super – Slow – Motion – Replays leider übersehen, ist die unbedeutende Kleinigkeit, daß die NBA vielleicht zu 5% spektakulär ist – aber die anderen 95% bestehen aus diszipliniertem, total durchdachtem Spiel, in dem absolut nichts dem Zufall überlassen wird. Jeder Schritt, jeder Cut, jeder Block, sogar jede Reboundmöglichkeit wird genaustens geplant – und gnade dem Spieler, der sich nicht an das Konzept hält, die Bank ruft. Da gibt es für jede einzelne Schwachstelle des Gegners einen ausgeklügelten Spielzug, und wenn ein Spieler einen deutlich schwächeren Gegenspieler hat, bekommt er bei jedem Angriff den Ball, bis der gegnerische Coach wechselt.


Nicht spektakuläre Einzelaktionen gewinnen NBA-Spiele, sondern die Fähigkeit der Spieler, das, was ihnen die Coaches im Training und in den Auszeiten auf das Chalkboard zeichnen, genau so und keinen Hauch anders auf dem Spielfeld umzusetzen.


Wenn Jordan seine vermeintliche One-Man-Show abzieht, ist das nicht etwa Egozock, sondern ein System, in dem jeder Spieler eine genau definierte Rolle spielt, sei es Block stellen, die Seite für ihn freimachen oder „nur“ zum Rebound gehen (Rodman!). Es gibt jede Menge sogenannte „Role-Player“ in der NBA, die nur für ganz bestimmte Wasserträger-Aufgaben zuständig sind, und wenn der Coach entscheidet, daß Du überhaupt nicht werfen darfst, weil andere im Team das besser können, dann wirfst Du eben nicht – wenn du spielen willst!


So ging es z.B. Hendrik Rödl während seiner ersten zwei Jahre in North Carolina, als er zwar viel Spielzeit hatte, aber nicht viel mehr durfte, als passen, Block stellen und gut Defense spielen. Zwei Jahre später war er College-Meister.


Als ich 1992 auf der NBA-Coach-Clinic in Dortmund war, führte Detlef Schrempf eine Stunde lang Spielzüge vor, die Seattle damals nur gegen Detroit spielte!


Während der NBA-Saison besteht das Training vor allem aus ausgedehnten Mannschaftssitzungen, in denen die Coaches den Spielern ihren bis ins kleinste Detail ausgetüftelten Gameplan für das nächste Spiel erklären. Für jede einzelne Stärke und Schwäche des Gegners gibt es einen bestimmten Spielzug oder eine Verteidigungsmaßnahme.


Aber Du glaubst, die NBA sei vor allem spektakulär.


NBA heißt vor allem: Nervenstärke Ballkontrolle Absolute Disziplin. Es liegt an Dir: Du kannst mir glauben – und irgendwann ein richtig guter Spieler werden. Oder Du läßt es – und bleibst für immer ein sinnloser Schönzocker mit geilen Moves!