Basketball in der Schule vermitteln

Retrospektive: 1985,
Basketball-AG Klasse 5/6, Einführungsstunde, ca. 30 Kinder, unauffällig gekleidet.

„Das ist ein Basketball, wer hat schon mal einen in der Hand
gehabt?“ Iasson, Patrick und Olli melden sich
vorsichtig. „Wer hat schon mal Basketball gespielt?“ Fehlanzeige.
„Schon mal ein Spiel gesehen, vielleicht im Fernsehen?“ Kopfschütteln.

Wir fangen an mit Dribbelübungen. „Der Ball ist euer Freund, also
nicht draufschlagen, sondern streicheln, die Hand soll am Ball
‚kleben’“ – „Nein, man darf nicht mit beiden Händen zugleich dribbeln.“
Die Aufforderung, auch mit der schwachen Hand zu dribbeln und dabei
nicht auf den Ball zu schauen, führt zum Chaos, Bälle rollen herrenlos
durch die Halle. Beim ersten Spiel merken wird mehr gepasst als
gedribbelt, man verliert nicht so leicht den Ball dabei. „Tooor“
schallt es beim ersten Korb begeistert durch die Halle. Der Lehrer muss
grinsen…

Heute: 2004, Basketball-AG Klasse 5/6, Einführungsstunde, ca. 30 Kinder, auffällig
gekleidet.

Vor mir sitzen Miniaturausgaben von Kobe Bryant, Shaq und Alan
Iverson in ihren NBA-Trikots, dazu diverse
Spieler der OPEL Skyliners. Während der Einführungsansprache kommt noch
der 10jährige Dejan in die Halle, lässig bei jedem Schritt seinen Ball
durch die Beine dribbelnd, ohne den er morgens nicht das Haus verlässt.
Marcel im viel zu
großen Vince Carter Trikot meldet sich: „Kannst du einen Dunking?“
Gegenfrage: „Was ist das denn?“ – „Na, wenn man sich am Ring festhält!“
Der Lehrer muss grinsen…

Das US-Dream-Team in Barcelona 1992, der Europameistertitel der
deutschen Herren 1993, Dirk Nowitzki,
die Streetball-Welle und vor allem die Omnipräsenz im Fernsehen haben
aus einer akademischen Randsportart einen absoluten Trendsport gemacht,
und damit die Ausgangslage im Vereins- und Schulbasketball extrem
verändert. [Der Deutsche Basketballbund verzeichnete von 1991 bis 2004
einen Mitgliederzuwachs von 55% im männlichen Bereich und 18% im
weiblichen, letzterer ist aber leider seit 2000 konstant rückläufig]

Das zeigt sich zum Einen in einem sehr hohen Anfangsniveau, das
viele Kinder heute bereits in die erste Basketballstunde mitbringen,
auf der anderen Seite stellt es aber auch deutlich höhere Anforderungen
an die Lehrkraft.


Nicht nur, das heute viele
Kinder weit besser mit dem roten Ball umgehen können als ihre Sportlehrer, auch
das Leistungsgefälle innerhalb der Schulklassen ist in der Regel deutlich
größer als früher. Da sind am einen Ende viele Mädchen, an denen der Boom
mangels Identifikationsfiguren komplett vorbei gelaufen ist, am anderen Pol die
Streetballer und Vereinsspieler, die geradezu artistisch mit dem Spielgerät
umgehen. Dazwischen ein breites Spektrum von Nicht- bis
Gelegenheits-Basketballern. All diese Facetten sinnvoll unter einen Hut zu
bringen, kommt unter schlechten Rahmenbedingungen (Halle, Körbe, Bälle) fast
der Quadratur des Kreises gleich.

Lassen sich bei Übungsformen
zum Technikerwerb die Street-/Basketballer („Profis“) noch sinnvoll als
Hilfslehrer einsetzen, die den anderen Grundtechniken und Ballhandling vermitteln,
sind Spielformen in solch heterogenen Gruppen normaler Weise für alle
Beteiligten mit Frust behaftet. Ein Kind, das mit Bällen grundsätzlich wenig
anfangen kann, wird in den wenigen Schulbasketballstunden in der Regel kein
Niveau erreichen, das es in die Lage versetzt, mit dem Ball erfolgreiche
Spielhandlungen durchzuführen, schon gar nicht gegen weit überlegene Mitschüler.
Doch anfängliche Frusterlebnisse führen schnell zu Passivität und einer grundsätzlichen
Ablehnung der Sportart. Während Vereinsbasketballer i.d.R. relativ leichter zu
sozialverträglicher Spielweise motiviert werden können oder diese von sich aus
mitbringen, hat man es diesbezüglich mit den zumeist stark auf
Selbstdarstellung und Einzelspiel fixierten reinen Streetballern häufig schwer,
insbesondere wenn diese die Lehrkraft nicht als Basketballexperten akzeptieren.
Streetball ist nicht lediglich Basketball im Freien, es ist ein Lifestyle zu
dem „cooles“ Verhalten, eine bestimmte Musik (Rap und Hip Hop) und ein
besonderer Kleidungsstil (tief sitzende Hosen, offene Schnürsenkel…) gehören.
Im Mittelpunkt steht das Spektakuläre, weshalb einfache aber zweckdienliche
Aktionen, wie z.B. ein einfacher Druckpass zu einem frei stehenden Mitspieler,
dabei keinen sonderlich hohen Stellenwert besitzen. Durch die starke Betonung
des Spiels 1 gegen 1 verfügen reine Streetballer zwar häufig über beachtliche
Ballfertigkeiten (Dribbling, Wurf), weisen aber ebenso beachtliche Schwächen in
Bezug auf regelgerechtes Spiel (Schrittfehler, Fouls) und Teamspiel (Passen)
auf. Hoch im Kurs stehen als Vorbilder vor allem diverse Exzentriker unter den
amerikanischen NBA-Spielern sowie Videobänder (z.B. AND1 Mix-Tapes) mit
artistischen Ballkunststücken. In Bezug auf die im Schulsport erwünschte
mannschaftsorientierte Spielweise, wirken vor allem die Dribbelkünste der
Streetballer häufig kontraproduktiv, weil sie sich lieber den Ball noch fünfmal
durch die Beine dribbeln, anstatt die freistehende Mitspielerin anzuspielen,
die den hinter dem Rücken gespielten No-Look-Zauberpass ja doch nicht fangen
wird…

Mit welchen Mitteln lässt
sich also Basketball heute unter diesen Voraussetzungen trotzdem für alle
erfolgreich und motivierend vermitteln? Grundsätzlich sind dafür keine anderen Übungs-
und Spielformen notwendig als in homogenen Gruppen, weshalb ich hier auch nicht
näher darauf eingehen werde. Sie finden sich in der gängigen Literatur und auch
in meiner „Coaches Corner“ im Internet unter www.bbcoach.de. Grundsätzlich
bevorzuge ich dabei einen ausgewogenen Mix aus Übungs- und Spielformen.
Technikübungen werden schon in der stets ballorientierten Aufwärmphase
eingesetzt, um die Grundfertigkeiten Dribbeln, Passen/Fangen und Werfen zu
verbessern, aber da man Spielen nur durch Spielen lernt, liegt der Anteil der
Spielformen und spielnahen Übungsformen bei mindestens 50%.



Es ist angesichts der
beschriebenen Gruppenzusammensetzung allerdings erforderlich, besondere
Rahmenbedingungen abzustecken, die im Folgenden beschrieben werden (wo nur die
männliche Form verwendet wird, geschieht dies aus Platzgründen):

 

1.   Differenzierung

Vor allem bei Spielformen (1-1 bis 5-5, Überzahlspiele) ist eine
Differenzierung der Gruppe nach Leistungsvermögen ratsam. Ich habe gute
Erfahrungen damit, diese Gruppen z.B. als „Bundesliga“, „Euroliga“ und „NBA“ zu
bezeichnen, was auch den Schülern in der schwächsten Gruppe ein positives
Startgefühl vermittelt. Auch wenn im ungünstigsten Fall nur ein Spielfeld mit 2
Körben zur Verfügung steht, lassen sich auf diese Weise, beispielsweise bei
Ganzfeld-Überzahlspielen (3-2, 2-1), homogene Kleingruppen abwechselnd
beschäftigen. Die Schüler ordnen sich dabei selbständig einer Gruppe zu. Das
klappt in der Regel problemlos, und sie wechseln auch selbst die Gruppe wenn
sie erkennen, dass sie sich falsch eingestuft haben. Wichtig ist dabei klar zu
machen, dass eine schwächere Gruppe nicht mit einer schlechteren Benotung
verbunden ist, sondern dass Lernfortschritt und Motivation wichtige Kriterien
sind, und das mit der Einteilung optimale Voraussetzungen für den individuellen
Lernfortschritt geschaffen werden.

2.   Vorgaben und Zusatzregeln
für gemischte Gruppen

Mann-Mann-Verteidigung (MMV): Entgegen der Vorliebe vieler Sportlehrer, in der
Schule mit Zonenverteidigung (Raumdeckung) zu operieren, um die persönliche
Auseinandersetzung in der 1-1-Situation zu vermeiden, ist gerade bei
heterogenen Lerngruppen die MMV erste Wahl. Sie stellt sicher, dass jeder einen
seinem Leistungsvermögen entsprechenden Gegenspieler erhält und damit nicht
ständig vor unlösbare Situationen gestellt wird, d.h.: Mädchen spielen gegen
Mädchen, Anfänger gegen Anfänger, Profis gegen Profis. [Anmerkung: Selbstverständlich sind Mädchen nicht automatisch schwächere
Basketballspieler, aber Streetball ist fast eine reine Jungendomäne und auch im
Vereinsbasketball dominiert der männliche Bereich im Verhältnis 5:1. Mädchen
mit entsprechenden Vorkenntnissen, insbesondere Vereinsspielerinnen, erhalten
stärkere Gegenspieler.]

Weitere mögliche Zusatzregeln:

(für den Fall, dass die Profis zu dominant spielen und die Anfänger nicht zum
Zug kommen)

·     Mädchen dürfen nur von Mädchen angegriffen werden,
Profis von Profis etc.

Verteidigungsaktionen gegen schwächere werden dabei wie Fouls behandelt.

·     Körbe von Anfängern zählen doppelt/dreifach.

Wenn bei Spielen die Punkte gezählt werden, vergessen die Profis gerne ihren
Auftrag als „Sozialspieler“. Die Aussicht, einen Korb mit einer höheren
Punktzahl zu erzielen, indem man einen schwächeren Mitspieler in eine gute
Wurfposition bringt, bedient sowohl den Ehrgeiz zu gewinnen als auch die
mannschaftsdienliche Spielweise.

·     Körbe von Profis zählen nur, wenn das Zuspiel von
einem Mädchen/Anfänger kam.

Diese Vorgabe verhindert
Einzelaktionen nach dem Muster „Rebound – Dribbling – Korbwurf“. Ohne die
Einbeziehung der schwächeren Mitspieler ist der Profi für sein Team wertlos.
Die anderen werden zwangsläufig angespielt und durch ihre „Assists“
aufgewertet.

·     Jeder Korb zählt soviel Punkte wie zuvor Pässe
gespielt wurden.

Gutes Zusammenspiel wird belohnt.
Eine Einzelaktion über das ganze Spielfeld zählt Null Punkte, während eine
gemeinsam heraus gespielte Aktion 10 und mehr Punkte ergeben kann.

Nach meiner Erfahrung werden solche Zusatzregeln von
den Schülern problemlos akzeptiert, wenn nicht, führen gezielte Fragen („Was
ist so toll daran, wenn du mit 195cm Größe die zwei Köpfe kleinere Susanne beim
Wurf blockst?“ – „Ist es wirklich so cool, als Vereinsspieler gegen einen
Anfänger einen Korb zu machen?“) schnell zur Einsicht. Die Zusatzregeln sollten
der Lerngruppe vorgestellt werden, die dann mehrheitlich entscheidet, welche
davon zur Anwendung kommen sollen. Nimmt das Spiel nicht den erhofften Verlauf,
werden die Regeln in einer kurzen Gesprächsphase angepasst.

3.   Patenschaften

a) Übungsformen: Einem Anfänger bzw. einer Gruppe von Anfängern wird ein
Fortgeschrittener/Profi als Pate zugeteilt. Bei der Schulung elementarer
Grundfertigkeiten (Dribbeln, Passen, Werfen) bekommen die Paten „Lehraufträge“
für ausgewählte, die Ergebnisse werden anschließend der Gruppe präsentiert. So
profitiert der Anfänger und der Profi erhält für sein Coaching Anerkennung.

b) Spielformen: In gemischten Gruppen ist es Aufgabe der Paten, ihre
Schützlinge möglichst gut in Szene zu setzen. Aufgabe für die Profis: Sie sollen
nicht selbst durch Abschlüsse glänzen, sondern dadurch, dass sie die Mitspieler
glänzen lassen.

Hat man nur ein Spielfeld zur Verfügung und lässt eine Gruppe von Anfängern 5-5
auf zwei Körbe spielen, werden die Profis als Coaches eingesetzt.

Welche dieser Maßnahmen zur Anwendung
kommen und wie man sie kombiniert, hängt von der Gruppenzusammensetzung und den
organisatorischen Voraussetzungen ab. Häufig muss in der Profigruppe,
insbesondere bei den Streetballern, Überzeugungsarbeit geleistet werden, erfahrungsgemäß
finden sie aber schnell Gefallen an der Tutorenrolle und entwickeln stolz über
die Fortschritte ihrer Schützlinge, schließlich ist man als Trainer ja in einer
leitenden Position. Man muss den Profis zudem klar machen, dass für den
Vereinsspieler Dejan andere Bewertungskriterien gelten als für Anfängerin Lisa,
weil sein spielerisches und technisches Niveau schulische Ansprüche ohnehin übertrifft.
Für eine sehr gute Benotung muss Dejan aber auch Teamqualitäten nachwiesen, während
egoistisches Spiel negativ bewertet wird. Trotzdem sollte er natürlich
ausreichend Gelegenheit erhalten, in Spielen und Spielformen mit ebenbürtigen
Mit- und Gegenspielern seine Fähigkeiten ausspielen und gegebenenfalls noch
verbessern zu können, schließlich will er ja auch Spaß an seinem
Sportunterricht haben, und das nicht nur als Assistenz-Lehrer.

Je jünger Dejan und Co. dabei
sind, desto einfacher ist naturgemäß diese Aufgabe für den Lehrer. Während
10jährige meist noch mit wenig Aufwand zu überzeugen sind und nicht nur
größenmäßig zum Lehrer aufblicken, ist es mit zunehmendem Alter nicht nur
schwieriger, die festgefahrenen Verhaltensmuster aufzubrechen, auch das
Leistungsgefälle wird durch den wachsenden Trainingsvorsprung der Profis immer
größer. Während in allen anderen Schulfächern Lehrende über einen deutlichen
Wissensvorsprung gegenüber ihren Schülern verfügen, sind im Sport, gerade in
Rand- und Trendsportarten, nicht selten schon Acht- und Neuntklässler ihren
Sportlehrern technisch und taktisch weit überlegen. Regelmäßig berichten mir im
Vereinstraining meine 14- und 15jährigen Spieler, die in der Jugendoberliga und
vielfach auch im Landeskader spielen, welchen „Käse“ ihnen im Sportunterricht
ihr Lehrer als Basketball verkaufen wollte. Als Nicht-Basketballer ist der
Sportlehrer in dieser Situation also gut beraten, sich solche Schülerexperten
zu Verbündeten zu machen, ihr Wissen und Können zu nutzen, und seine
pädagogische Kompetenz darauf zu konzentrieren, dass die Nicht-Profis unter den
Schülern dadurch optimal gefördert werden.

3 Gedanken zu „Basketball in der Schule vermitteln

  • 31. Oktober 2012 um 11:32 Uhr
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    Lieber Herr Steppich,

    ich habe nun folgendes Problem mit meiner SchulAG. Aufgrund von Hallenproblemen teile ich mir nun meine Halle mit einer TrampolinAG, sodass ich für 20 Kinder nur eine Hallenhäfte und nur einen Korb zur Verfügung habe. Einige Ideen habe ich mir nun schon in einem Artikel über kleine Spiele hier auf der Seite geholt, aber irgendwie will sich bei mir noch keine zufriedenstellende Lösung für ein komplettes Training einstellen. Ich musste dann ziehmlich schmunzeln als ich in Ihrem Text dann den Satz “ Auch wenn im ungünstigsten Fall nur ein Spielfeld mit 2
    Körben zur Verfügung steht […]“ gelesen hatte.
    Naja ich werde mal weiter stöbern. Aber ich denke nicht, dass ich wirklich fündig werde das Spiel dennoch interessant genug zu gestalten um die Kinder dazu zu bewegen in die neu gegründete Basketballabteilung zu kommen. Das war nämlich eigentlich der Plan. Unterrichtsstunden geben, AG fest einrichten und dann die oU-14 als 1. Mannschaft der neuen Abteilung zu gründen.

    Vielleicht haben Sie eine Idee?

    Liebe Grüße
    Florian Pfeiffer

    • 1. November 2012 um 09:25 Uhr
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      Hallo Herr Pfeiffer,

      nur ein Korb mit 20 Schülern ist natürlich eine Konstellation, bei der man den Kreis quadrieren müsste, dazu fällt mir dann auch nichts wirklich brauchbares mehr ein.

      Schöne Grüße
      Günter Steppich

  • 2. November 2012 um 12:27 Uhr
    Permalink

    Hallo Florian,

    kontaktiere Georg Kleine (WBV-Verbandssportlehrer), er wird sicherlich Ideen haben.
    Mir spontan fällt nur ein Basketball-Zirkel mit verschiedenen Stationen ein. Eine Station wäre dann das 3-3 Spiel auf einen Korb. Weitere Stationen könnten Gleiten, Fußarbeit, Passen/Fangen, Ballhandling sein. Wichtig sind auch koordinative Aufgaben (auch spielerisch) in dem Alter, da braucht man wenig Körbe für.

    Gute Entscheidung mit einer Jugend anzufangen. Viel Glück für die neue Abteilung!

    Alex

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