Talentfördergruppen in Deutschland

Zum Stellenwert in der leistungssportlichen Nachwuchsförderung

NORBERT FESSLER / MICHAELA KNOLL
Sportwissenschaftliches Institut der Uni Saarbrücken

 

Talentfördergruppen

 

- Zum Stellenwert in der leistungssportlichen Nachwuchsförderung -

 

Zusammenfassung

 

Der organisierte Sport in Deutschland räumt der systematischen Förderung des leistungssportlichen Nachwuchses im Bereich der Landeskader eine herausragende Stellung ein. Hingegen wurden Fragen der Strukturierung der Talentsichtung und anfänglichen Talentförderung als Unterbau zur D-Kader-Ebene bislang nur am Rande thematisiert. In diesem Beitrag wird der Stellenwert von Talentfördergruppen als zentrales Strukturelement in der anfänglichen Talentförderung diskutiert. Ein Vergleich der Konzepte in verschiedenen Bundesländern zeigt, daß die Talentfördergruppen eine wichtige Brückenfunktion besitzen: Sie stehen einerseits an der Spitze leistungssportlicher Förderprogramme in gemeinsamer Trägerschaft von Schule und Sportorganisation, andererseits bilden Talentfördergruppen aus der Perspektive leistungssportlicher Nachwuchsförderkonzepte die Basis eines kontinuierlichen Förderprozesses, der an die jeweiligen Landeskaderförderung anschließt. Dies wird am Beispiel einer landesweiten Untersuchung der Talentfördergruppen Baden-Württembergs verdeutlicht. Die Befunde zur Vernetzung der Talentfördergruppen mit anderen Systemen und Programmen (Schule, Landeskooperationsprogramm Schule & Verein, Verein und Verband) basieren auf den Daten von 574 Gruppen aus mehr als 50 verschiedenen Sportarten. Die Ergebnisse belegen, daß eine engmaschige Vernetzung der Sportförderstrukturen vielfach praktiziert wird und somit ein praktisches Erfordernis darstellt. Zur optimalen Ressourcennutzung ist allerdings eine Zusammenarbeit erforderlich, die nicht nur dem Engagement der einzelner Akteure überlassen bleibt, sondern dieses Engagement durch eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit von Schule und Sportverein initiiert und erleichtert. Die Verknüpfung des Talentfördersystems mit Kooperationsprogrammen von Schule und Sportverein ist dabei eine unabdingbare Voraussetzung dafür, den systematischen Aufbau der Kaderstrukturen im Nachwuchsleistungssport zu optimieren.

 


1     Einleitung

 

Nach der deutschen Wiedervereinigung und den damit verbundenen Veränderungen des Spitzensportsystems rücken in den 90er Jahren wieder zunehmend Fragen der strukturellen Förderung des leistungssportlichen Nachwuchses in den Mittelpunkt (vgl. u.a. DEUTSCHER SPORTBUND 1993, STARISCHKA/CARL/KRUG 1996). Der Deutsche Sportbund hat in seinem Förderkonzept 2000 (DEUTSCHER SPORTBUND 1996) Aspekte des Nachwuchsleistungssports besonders berücksichtigt, wie jüngst auch Ergebnisse des Workshops von DSB und IAT "Nationales Nachwuchstrainingssystem" im Juni 1997 in Leipzig zeigen. Ein zen-trales Strukturelement der Nachwuchsförderung ist weiterhin die Schaffung bundesweit einheitlicher Rahmenbedingungen für die D/C-Kader und die Landeskader D1-D4 als Unterbau der Bundeskaderstrukturen (vgl. auch die Leistungssport-Konzeption 1993-1996 - DEUTSCHER SPORTBUND 1992 sowie die LA-L-Rahmenkonzeption - DEUTSCHER SPORTBUND 1997). Hierauf konzentriert sich auch eine im Auftrag des Deutschen Sportbundes durchgeführte Analyse des Instituts für angewandte Trainingswissenschaft (IAT) zum leistungssportlichen Fördersystem (vgl. DEUTSCHER SPORTBUND 1995).

 

In der Vergangenheit stellten die D-Kader-Untersuchung des Landessportverbandes Baden-Württemberg von 1979 (dokumentiert in HOLZ 1982) sowie entsprechende Studien in anderen Bundesländern, z.B. STORK et al. 1981 für Nordrhein-Westfalen, durch Einbeziehung des gesamten D-Kaders praxisnahe Daten für die Strukturierung der leistungssportlichen Nachwuchsförderung auf Landesebene zur Verfügung. Zwei aktuelle D-Kader-Studien in Rheinland-Pfalz und dem Saarland (vgl. EMRICH/PITSCH 1997a) sowie in Hessen (vgl. KNOLL 1997) tragen den zwischenzeitlich geänderten Rahmenbedingungen in den Ländern durch die Umstrukturierung des leistungssportlichen Fördersystems Rechnung.

 

Neben diesen Flächenstudien resultieren Strukturierungsimpulse aus punktuell ausgerichteten Effizienz- und Effektivitätsprüfungen von Einrichtungen zur Förderung des (Nachwuchs-)Leistungssports mit Hilfe organisationssoziologischer und systemtheoretischer Untersuchungsansätze (vgl. BAUR 1991, BETTE 1984, BETTE/NEIDHARDT 1985) und der dazu geführten Diskussion um die Vor- und Nachteile dieser Einrichtungen (vgl. z.B. HUG 1990, THIESS 1991, ZIEGLER 1991). Die Studie von RICHARTZ/BRETTSCHNEIDER (1996) zur Situation der Athleten an sportbetonten Schulen sowie die jüngst durchgeführte bundesweite Erhebung zu Verbundsystemen von Leistungssport und Schule (vgl. GÜLLICH/SCHUL-TE/ZIEGLER 1997) zeigen die Aktualität struktureller Überlegungen zur leistungssportlichen Nachwuchsförderung.

 

Untersuchungen zu den Strukturen unterhalb der D-Kader-Ebene, wie z.B. die in diesem Beitrag interessierenden Talentfördergruppen (TFG), wurden bislang nicht in größerem Umfang durchgeführt, was sicherlich auch darauf zurückzuführen ist, daß dieser Bereich in den Strukturkonzepten des Deutschen Sportbundes bisher nur am Rande berücksichtigt wurde (vgl. z.B. DEUTSCHER SPORT-BUND 1995). Zwischenzeitlich geänderte Schwerpunktsetzungen zeigen sich beispielhaft in der Forschung in dem vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft erstellten 'Programm zur Förderung der Forschung im Nachwuchsleistungssport', das an Defiziten sportwissenschaftlicher Forschung zum Nachwuchsleistungssport ansetzt und Leitlinien für die Forschungsförderung für die zweite Hälfte der 90er Jahre vorgibt (vgl. CARL 1997). So werden Förderungsaspekte der beginnenden Leistungssportkarriere in jüngst vergebenen Forschungsprojekten des Bundesinstituts für Sportwissenschaft thematisiert, etwa im Bund-Land-For-schungsprojekt zur Kooperation von Schule und Sportverein (vgl. FESSLER/RIEDER 1997) sowie im Projekt zu Problemen der Talentsuche und Talentförderung in städtischen Ballungsräumen (vgl. BÖS/KNOLL 1997). Im erstgenannten, zwischen-zeitlich abgeschlossenen Projekt wurden Möglichkeiten gemeinsam von Schule und Sportverein bzw. Verband durchgeführter leistungssportlich ausgerichteter Arbeitsgemeinschaften systematisch erhoben, um einen bundesweiten Überblick über Programme zur Talentförderung unterhalb des D-Kaders zu erhalten. Darauf aufbauend werden derzeit exemplarisch empirische Untersuchungen zur Kooperation Schule & Sportverein in Baden-Württemberg durchgeführt. Das zweitgenannte, 1996 begonnene Projekt zu Problemen der Talentsuche und Talentförderung in städtischen Ballungsräumen will die Strukturen im Ballungsraum Frankfurt unter der Leitfragestellung analysieren, wie die zahlreich vorhandenen Förderungseinrichtungen im Hinblick auf Talentsuche und Talentförderung besser genutzt werden können.

 

2     Die Stellung der Talentfördergruppe im leistungssportlichen Fördersystem

 

Eine effiziente Kaderbildung und effektive Förderung der Kaderathleten ist kaum zu gewährleisten, wenn ein struktureller Unterbau für eine gezielte Talentsichtung und anfängliche Talentförderung fehlt. Strukturelle Defizite rühren vermutlich daher, daß die untere Ebene eines systematischen Leistungsaufbaus angesichts des Länderföderalismus in Deutschland durch zentrale Institutionen, wie z.B. den Deutschen Sportbund, kaum steuerbar ist. So werden u.a. schulische Bezüge zum Leistungssport durch die Kultushoheit der Länder unterschiedlich intensiv ausgelegt. Hinzu kommen Abstimmungsprobleme aufgrund komplexer Koordinations- und Kompetenzregelungen im Bereich des organisierten Sports, z.B. ist der Deutsche Sportbund für die Bundeskader, der jeweilige Landessportbund für die Landeskader verantwortlich. In den Sportfachverbänden werden ebenfalls Abstimmungsdefizite auf Bundes- und Landesebene, aber auch zu den Dachorganisationen (auf Bundesebene: DSB; auf Landesebene: jeweilige Landessportbünde) beklagt (vgl. z.B. ROST/MARTIN 1997). Die Leistungsförderung unterhalb des D-Kaders zeigt sich demnach in den Bundesländern unterschiedlich ausgebaut und strukturiert.

 

Anknüpfungspunkt unserer weiteren Überlegungen sind die erkennbaren Anstrengungen der Länder, das Talentförderpotential innerhalb ihrer Landeskooperationsprogramme1 zu nutzen und mit Programmen zur Förderung des leistungssportlichen Nachwuchses zu vernetzen. In verschiedenen Bundesländern wurde in Zusammenarbeit von Schulverwaltung und Sportselbstverwaltung ein Talentgruppen-System als Unterbau der Kadergruppen entwickelt.

 

Im Saarland sind TFG in das Projekt 'Talentförderung Saar' eingebunden, das 1989 vom Landessportverband Saarland gemeinsam mit dem saarländischen Kultusministerium initiiert wurde (vgl. OST 1997). Der Bereich 'Talentfindung und Talentförderung', wie er im saarländischen Förderkonzept bezeichnet wird, zielt auf die Beseitigung von Defiziten in der Kooperation zwischen Schule und Verband im leistungssorientierten Sport. Die Talentfindung konzentriert sich auf die Grundschule: in Stützpunktgruppen sollen sportmotorisch begabte Schüler vielseitig gefördert und dem Leistungssport zugeführt werden. Darauf aufbauend ist das Stützpunkttraining in den TFG sportartspezifisch ausgerichtet und erfaßt Schüler im Altersbereich von ca. 10 bis 15 Jahren (Sekundarstufe). Der Ausbau des Systems stößt vor allem auf schulischer Seite mittlerweile an Kapazitätsgrenzen. So blieb die Zahl der kooperierenden Grundschulen und weiterführenden Schulen in den letzten Jahren weitgehend konstant. Den Ausführungen von EMRICH/MEURER/SCHÄFER (1997) ist zu entnehmen, daß dies weniger ein Struktur- als vielmehr ein Motivationsproblem auf schulischer Ebene zu sein scheint. Verbesserungsmöglichkeiten sehen die Programmverantwortlichen u.a. durch die Intensivierung der Lehrerfortbildung bzw. der Schulung der Trainer sowie die Einrichtung eines vielseitigen Grundschulwettbewerbs. Im Rahmen der sportwissenschaftlichen Begleitung des Projekts 'Talentförde-rung Saar' wurden Strukturfragen bisher kaum thematisiert. Im Vordergrund stand die empirische Untersuchung von Aspekten der Talentdiagnostik (vgl. PITSCH/EMRICH 1997) oder der Motivation von Teilnehmern in TFG (vgl. EMRICH/PITSCH 1997b).

 

In Nordrhein-Westfalen sind TFG ebenfalls Teil des dortigen Landesprogramms 'Talentsuche und Talentförderung in Zusammenarbeit von Schule und Verein/Verband', das 1985 von Kultusministerium und Landessportbund Nordrhein-Westfalen initiiert wurde (vgl. z.B. HIERSEMANN 1996). Wie im Saarland steht in den Talentsichtungsgruppen die sportliche Grundausbildung im Vordergrund, in den TFG hingegen das Grundlagentraining. Die Gruppen sind in Talentförderprojekte und Talentzentren eingebunden, die wiederum den nordrhein-westfälischen Bundes- und Landesleistungsstützpunkten zugeordnet sind (vgl. GUHS/HIERSEMANN 1996). Mittelfristiges Ziel ist es, Talentförderprojekte bzw. Talentzentren an allen bestehenden Stützpunkten einzurichten (derzeit an ca. der Hälfte der Stützpunkte). Sportwissenschaftlich werden in internationalen Workshops Ergebnisse des Landesprogramms diskutiert und Perspektiven aufgezeigt2. Desweiteren arbeiten Trainer, Lehrer und Sportwissenschaftler in Arbeitsgruppen an der Entwicklung von Rahmentrainingsplänen und vielseitig ausgerichteten Wettkampfkonzeptionen für Kinder und Jugendliche3.

 

Das Landesprogramm 'Talentsuche/Talentförderung' in Hessen ist seit 1991 eingerichtet und orientiert sich am nordrhein-westfälischen Programm. Das ebenfalls von Kultusministerium und Landessportbund Hessen initiierte Programm zielt auf die Förderung sportlich begabter Kinder und Jugendlicher und will den Unterbau zur Landeskaderförderung verstärken (vgl. PAUL 1993). Als schulische Veranstaltungformen sind die Talentaufbaugruppen (TAG) im Grundschulbereich und die TFG in der 5. und 6. Klasse der weiterführenden Schulen eingerichtet. In den TAG steht die sportartübergreifende, vielseitige Grundausbildung der motorisch begabten Grundschüler im Mittelpunkt. Die TFG sind sportartspezifisch (nur Schulsportarten) an Prinzipien des Grundlagentrainings orientiert und sollen den Übergang der Teilnehmer in die Landeskader unterstützen. Das Programm wird ebenfalls wissenschaftlich begleitet. Im Rahmen eines längsschnittlich angelegten Forschungsprojekts (vgl. z.B. KÖNIG/MARTIN 1996) werden derzeit Fragen der Talentdiagnostik im Grundschulalter untersucht.

 

Am Beispiel der Bundesländer Hessen, Nordrhein-Westfalen und Saarland kann aufgezeigt werden, daß TFG eng mit dem System Schule vernetzt und - anknüpfend an TAG bzw. leistungsorientierte Kooperationsgruppen von Schule und Sportverein - in Landeskooperationsprogramme eingebunden sind. Im Unterschied dazu sind TFG in anderen Bundesländern, wie z.B. Baden-Würt-temberg oder Sachsen, Einrichtungen des organisierten Sports, die konzeptionell eine systematische Einbindung von Schule nicht vorsehen.

 

Die Unterschiede in der strukturellen Verankerung der TFG in den Ländern - zum einen die Anbindung an die Schule, zum anderen in Trägerschaft des organisierten Sports - lassen grundlegende Probleme erkennen. So wird deutlich, daß TFG-Systeme, sofern sie ausschließlich in der Sekundarstufe eingerichtet sind (z.B. Hessen oder Saarland), in den Sportarten mit frühem Einstiegsalter (z.B. Kunstturnen oder Tischtennis) nur eine Randstellung im sportartspezifischen Fördersystem einnehmen. TFG-Systeme sollten deshalb alterspezifisch möglichst weit gefaßt, d.h. je nach sportartspezifischen Erfordernissen sollte die Grundschule einbezogen werden - auch wenn der Partner Schule aus pädagogischen Gründen die TFG mit ihrem sportartspezifischen Training auf die Sekundarstufe begrenzen will. Auf der anderen Seite birgt ein TFG-System in ausschließlicher Trägerschaft des organisierten Sports - wie im Beispiel Baden-Württemberg - die Gefahr der mangelnden Vernetzung mit der Schule, d.h. das schulische Potential wird im Bereich der anfänglichen Talentförderung nicht systematisch genutzt.

 

Zusammenfassend wird die Strukturierung des leistungssportlichen Förderprozesses in Abb. 1 verdeutlicht.

 

 

Abb. 1: Strukturschema des leistungssportlichen Förderprozesses

 

Die Abbildung zeigt, daß die TFG einerseits aus der Sicht leistungssportlicher Nachwuchsförderkonzepte Basis eines kontinuierlichen Förderprozesses ist. Andererseits steht die TFG aus der Perspektive gemeinsam von Schule und Sport getragener leistungssportlicher Förderprogramme (vgl. das grau unterlegte Feld in Abb. 1) an der Spitze des kooperativen Engagements. Die Grafik verdeutlicht aber auch, daß dem TFG-System - aus beiden Blickwinkeln - eine zentrale Vermittlungsfunktion zwischen institutionalisierten Kooperationsprogrammen Schule & Sportverein und Programmen in Trägerschaft des organisierten Sports zukommt.

 

Für die allgemeine Talentsichtung kommt es entscheidend auf die Mitarbeit der Schulen an, da über diese alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden können. In Abhängigkeit von der Trägerschaft der Maßnahme sprechen wir von der Talentsichtung im Verein unter Mitwirkung der Schule oder der Talentsichtung in der Schule unter Mitwirkung des Vereins. Hervorzuheben ist jedoch, daß die Durchführung entsprechender Maßnahmen in den beiden Bereichen kaum systematisch gesteuert, sondern meist von zufällig vorhandenen Konstellationen abhängig ist (z.B. Engagement einzelner Personen, informelle Kontakte zwischen Schule und Verein). Im Bereich der systematischen Talentsichtung und anfänglichen Talentförderung in Gruppen ist im Unterschied zur allgemeinen Talentsichtung die partnerschaftliche Zusammenarbeit, d.h. die gemeinsame Trägerschaft von Maßnahmen durch Schule und Verein, und damit die Möglichkeit der systematischen Steuerung konzeptionell zu sichern. Daß eine Institutionalisierung der anfänglichen Talentförderung bereits erfolgt und weiterentwickelt wird, zeigen die o.a. Beispiele aus drei Bundesländern.

 

3     Vernetzung des Talentfördergruppensystems mit anderen Programmen - Ergebnisse einer        Repräsentativstudie

 

Die bisherigen Überlegungen unterstreichen die Bedeutung der TFG als Bindeglied einer von Schule und Sportorganisation gemeinsam gesteuerten anfänglichen Talentförderung und der weiteren Förderung im fortgeschrittenen Leistungsprozess in Verantwortlichkeit und Trägerschaft des Sports. Die TFG ist somit analytisch als fokales System zu setzen, wenn die Schnittstelle zwischen dem leistungssportlichen Fördersystem der Sportorganisation (D-Kaderför-derung des Landes) und der sinnvollerweise von Schule und Sportverein gemeinsam durchzuführenden Talentsichtung und anfänglichen Talentförderung untersucht werden soll. Die Vernetzung der TFG ist in verschiedene Richtungen zu diskutieren (vgl. Abb. 2): zum einen mit dem leistungssportlichen Talentfördersystem eines Landes, zum anderen mit dem örtlichen oder regionalen Umfeld (Schulen, Vereine, Kooperationsgruppen).

 

 

Abb. 2: Vernetzungsbereiche der Talentfördergruppen

 

Dieser Ansatz wurde auf eine Talentfördergruppenuntersuchung angewandt, die von Landessportverband und Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg aufgrund der Neukonzeptionierung der Talentsichtung und Talentförderung 1996 in Auftrag gegeben wurde. Datenbasis ist die schriftliche Befragung aller TFG-Leiter (N=765) der im Landessportverband Baden-Württemberg vertretenen Fachverbände. In die Auswertung konnten 574 Fragebogen aus 35 Fachverbänden mit mehr als 50 Sportarten einbezogen werden (Rücklauf von 75%). In den 574 erfaßten Gruppen werden die leistungssportlichen Bedingungen von ca. 12.000 Kindern und Jugendlichen erfaßt.

 

Aus dieser Untersuchung werden im vorliegenden Beitrag Daten zur Vernetzung des baden-württembergischen TFG-Systems mit anderen Programmen (25 Items und 14 Stellungnahmen in Form offener Fragestellungen) diskutiert4. Die von den TFG-Leitern abgegebenen Stellungnahmen bezogen sich auf Angaben zur Art der Zusammenarbeit der TFG mit anderen Gruppen, Programmen oder Einrichtungen des Leistungssports, auf Begründungen zur nicht vollzogenen Zusammenarbeit sowie auf Verbesserungsvorschläge. Sie sind als Feedback für die konzeptionelle Weiterentwicklung leistungssportlicher Fördersysteme wichtig, da das Wissen und die Erfahrung einer qualifizierten Gruppe genutzt werden kann: Die befragten TFG-Leiter betreuen die Gruppen im Schnitt ca. 6 Jahre, können also auf fundierte Erfahrungen hinsichtlich ihrer Leitertätigkeit zurückblicken. Sie besitzen eine hohe sportfachliche Qualifikation (Trainer C: 46,4%; Trainer-B: 36,8%: Trainer A: 15,6%; Diplomtrainer: 1,2%) und haben weitere zahlreiche Funktionsstellen im Leistungssport inne (Stützpunkttrainer: 27%; Lan-destrainer: 7%; Bundestrainer: 1,4%).

 

3.1     Vernetzung mit der Schule

 

Über alle Sportarten geben 32,2% der TFG-Leiter an, daß Kontakte mit der Schule gepflegt werden. In den Schulsportarten Leichtathletik und Volleyball sind diese Kontakte mit 67,8% und 62,5% ausgeprägt, in anderen traditionellen Schulsportarten liegen die Werte bei 45,8% (Gerätturnen) und - vergleichsweise schwach - unter 21% (Fußball, Handball, Tischtennis). Die bestehenden Kontakte der nicht in den Schulsport eingebundenen Sportarten fallen dagegen erwartungsgemäß ab (vgl. z.B. Eiskunstlauf: 14,3%; Gewichtheben und Ringen: jeweils 7,7%).

 

Die erheblichen Unterschiede zwischen den Sportarten lassen sich auf mehrere Faktoren zurückführen. So können die hohen Werte in der Leichtathletik beispielsweise dadurch erklärt werden, daß überproportional viele TFG-Leiter in dieser Sportart gleichzeitig Lehrer sind (39%; alle TFG: 16,2%). Die schwachen Werte im Fußball (11,6%), Handball (18,5%) und Tischtennis (12%) sind bedingt durch das Vorhandensein regionaler Sichtungskonzepte und den entsprechend fehlenden Bezug zur Schule (vgl. auch Kap. 3.3). Unterschiedliche Werte resultieren auch aus entsprechenden Fachverbandskonzepten: Im Landesfachverband Rudern (60 %) wird z.B. bei der Zuteilung von Mitteln für TFG die Durchführung einer Kooperationsgruppe mit 20% im Rahmen eines Vergabeschlüssels bewertet. Weitere 10% kommen bei Teilnahme an der Regatta "JUGEND TRAINIERT FÜR OLYMPIA" hinzu (vgl. hierzu MAIER 1993, 40 f. und 42 f.).

 

Differenziert man die schulischen Anbindungsmöglichkeiten auf der Basis eingerichteter Schulprogramme, dann steht unter quantitativer Maßgabe die Verbindung des TFG-Systems mit dem Schulsportwettbewerb JUGEND TRAINIERT FÜR OLYMPIA (JTFO) im Vordergrund. Hier bestätigen 28,8% der TFG-Leiter vorhandene Kontakte (Durchschnittswert für JTFO-Sportarten5: 54,3%). Andere Bereiche, wie z.B. Sportzug/-profil an der Schule (3,7%), sportspezifisches Berufskolleg am OSP (0,4%), Partnerschule des Olympiastützpunktes (2,4%) und Teilzeitinternat (3,3%) werden kaum genannt und sind hier zu vernachlässigen, da sie zwar wichtige Funktionen im fortgeschrittenen Leistungsprozess und der dabei gewünschten Mitwirkung der Schule innehaben, weniger jedoch in der anfänglichen Talentsichtung und -förderung.

 

3.2     Vernetzung mit dem Landeskooperationsprogramm Schule & Sportverein

 

Das Landeskooperationsprogramm Schule & Sportverein wird, da es sowohl schulische Belange als auch Belange des Vereins und seiner Fachverbände berührt, gesondert dargestellt. Insgesamt geben 40,2% der TFG eine Verbindung mit einer Kooperationsgruppe an. Ein loser Kontakt zu einer oder mehreren Kooperationsgruppen liegt vor, wenn eine Talentsichtung im Vordergrund steht: Von 20,4% aller TFG-Leiter mit Kooperationserfahrungen wird diese Funktion angegeben. Einen quantitativ beachtlichen Umfang weisen aber auch vergleichsweise enge Verbindungen der TFG zu Kooperationsgruppen auf: In 27,4% der Fälle hat die Kooperationsgruppe für die TFG die Funktion einer Aufbaugruppe (leistungssportliche Vorstufe zur TFG z.B. in Form einer Leistungs- oder Altersdifferenzierung), in 14,3% der Fälle wird sie als Trainingsgruppe genutzt. Im letzteren Fall greift eine erhebliche Anzahl von TFG und Kooperationsgruppen auf den gleichen Teilnehmerstamm zurück; oder es handelt sich um diesselbe Gruppe, die im leistungssportlichen Kontext als TFG, im schulsportlichen Kontext hingegen als Kooperationsgruppe definiert ist mit dem Effekt, daß die Nutzung koppelbarer Programme eine Ressourcenerweiterung bewirkt (z.B. Sportstättennutzung, erweiterter Trainingsumfang, ggf. auch Mitbetreuung der Gruppe durch die Schule). Sportartspezifisch sind erhebliche Unterschiede in den Ausrichtungen feststellbar. Im Rollsport beispielsweise ist die Funktion der Kooperationsgruppe auf enge Verbindungen angelegt, da sie entweder als Aufbau- oder als Trainingsgruppe dient. Beim Gewichtheben steht dagegen der Aspekt der Talentsichtung (60%) im Vordergrund. Ein TFG-Leiter Gewichtheben bezeichnet sein Vorgehen als "periodische Anfangsförderung".

 

Im Hinblick auf institutionalisierte Möglichkeiten des Aufbaus von Kontakten der TFG mit der Schule ist an dieser Stelle festzuhalten, daß diese weitgehend über Schulsportwettbewerbe und Kooperationsprogramme erfolgen. Unter diesem Gesichtspunkt wurde in Tabelle 1 eine Kategorisierung der Sportarten in vier Fallgruppen (schulische vs nicht-schulische Sportarten mit unterschiedlichen Vernetzungstendenzen) vorgenommen.

 

 

Tab.1: Vernetzung baden-württembergischer talentfördergruppen mit der Schule (18 Sportarten aus 35 fachverbänden; n=429                TFG-Gruppen aus 574)

 

Tab. 1 verdeutlicht, daß die TFG der meisten schulsportlich eingeführten Sportarten eng mit Schulen vernetzt sind (41,6% - Gruppe 1) und darüberhinaus ihr Vernetzungspotential durch das Kooperationsprogramm auf 61,5% steigern können. In Sportarten wie Rudern, Ski-nordisch oder Volleyball (vgl. Gruppe 1) ist nahezu jede TFG mit Kooperationsgruppen verknüpft (86-96%). In anderen, ebenfalls schulsportlich eingeführten Sportarten (vgl. Gruppe 2) ist der Grad der Vernetzung mit der Schule zwar kaum geringer, das Kooperationsprogramm wird jedoch nicht zum weiteren Ausbau der Kontakte genutzt (32,6%). Dem stehen nicht-schulische Sportarten wie Gewichtheben, Kanu, Kunstrad oder Radsport (vgl. Gruppe 3) gegenüber, die beachtliche Kontakte zur Schule pflegen (32,2%) und das Kooperationsprogramm zur Steigerung der Vernetzung nutzen (43,3%). Gruppe 4 führt schließlich Sportarten an, die nicht in den Schulsport eingebunden sind, kaum schulische Kontakte haben (12,9%) und denen es auch nicht gelingt, über das Landeskooperationsprogramm Schule & Sportverein in den Schulen Fuß zu fassen (10,1%). Zu diesem negativen Trend kommt hinzu, daß TFG, die in der Fallgruppe 4 Erfahrungen in der Kooperation mit Schulen vorweisen können, bezüglich dieser Kontakte offensichtlich nachhaltig frustiert sind. Die TFG-Leiter bewerten ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Schule (z.B. Rollsport: MW=3,3) bzw. mit Kooperationsgruppen Schule & Sportverein (z.B. Ringen: MW=3,0; Eiskunstlauf: MW=3,8) negativ (vierstufige Bewertungsskala von 1=gut bis 4=schlecht), legt man die Mittelwerte der Gesamtgruppe von 2,3 (Schule) und 2,0 (Schule/Verein) zugrunde. Die Aussage eines TFG-Leiters Ringen verdeutlicht solche Erfahrungen: "Ich hatte 2 Jahre eine AG, an der sich sehr viele Jugendliche mit sehr viel Spaß beteiligten. Den Sportlehrern dieser Schule war die AG Ringen ein Dorn im Auge und so legten sie kurzerhand die anderen Sport-AGs auf den gleichen Tag wie die Ringer-AG, so daß sich das verwässerte und ich dann später aufhörte." Überdurchschnittlich positive Wertungen in der Zusammenarbeit mit der Schule auf Basis des Kooperationsprogramms, z.B. im Gerätturnen (MW=1,3) und im Fechten (MW=1,6), sind z.T. auf Fachverbandsebene konzeptionell fundiert: So hat z.B. der 'Fecht-Olympia-stützpunkt' Tauberbischofsheim Koopera-tionsvereinbarungen mit über 70 Schulen in der Umgebung des OSP geschlossen, führt jähr-lich zwischen 20 und 30 Kooperations-maßnahmen durch und sichert im Anschluß an die Kooperations-gruppe die Einbindung der Teilnehmer in den nahegelegenen Verein (bzw. gründet einen solchen) und die weitere Förderung der Talente in der TFG (FESSLER/HAUPTMANN 1995). Vergleichbare Modelle werden auch im Gerätturnen verfolgt (vgl. z.B. KNIRSCH 1995).

 

Eine kategoriale Aufarbeitung der im Einzelfall von den TFG-Leitern angegebenen Gründe einer fehlenden Zusammenarbeit mit der Schule konnte auf die acht Gruppen 'Unvereinbarkeit der Systeme', 'Ineffizienz der Verbindung beider Systeme', 'Kommunikationsdefizite', 'Sportartspezifische Gründe', 'Konkurrenzsituationen der Sportarten', 'Überforderung der Lehrer', 'Zeit-budget der Übungs-leiter und Trainer' und 'Fehlendes schulisches Interesse' typisiert werden. In unserem Zusammenhang ist die Kategorie 'Fehlendes schulisches Interesse' hervorzuheben. Hier kann die Aussage eines TFG-Leiters Wasserball "Kein Interesse seitens der Lehrerschaft. Mehrmalige Versuche verliefen im Sande." beispielhaft für viele andere sinngleiche Aussagen innerhalb dieser Kategorie stehen. Dabei fällt auf, daß die Uninteressierheit der Schule häufig damit begründet wird, daß "für Randsportarten derzeit noch kein Platz im Schulsport ist" (TFG-Leiter Eishockey) oder daß es sich um eine nicht im Schulsport eingeführte Sportart handelt (z.B. Eiskunstlauf oder Fechten). Sie kann allerdings auch tradierte Schulsportarten treffen. Eine TFG-Leiterin aus der Leichtathletik ist der Überzeugung: "Die GHS hat für die Leichtathletik nichts übrig." Neben diesem passiv-uninteressiert zu kennzeichnenden Verhalten der Schule überrascht in dieser Untersuchung, daß viele Aussagen der TFG-Leiter auf eine ablehnende Haltung der Schule hindeuten, die aktiv als Verweigerungshaltung interpretiert werden kann. Die Kooperationsprobleme, mit denen es nicht wenige Sportarten zu tun haben, sind zum einen Image- und Umfeldwertungen durch die Schule: Die Sportart wird in einem nicht akzeptablen Rahmen ausgeführt ("Kegeln nur in Wirtschaften"), ist zu elitär (z.B. Tauchen, Golf), besitzt eine "geringe gesellschaftliche Wertigkeit" (Ringen) oder ist von vornherein inakzeptabel ("In den Schulen herrscht immer noch das Vorurteil, wir würden eine Ausbildung an der Waffe mit Kindern betreiben, wir würden kleine Rambos ausbilden.", so ein TFG-Leiter Schießen). Hinzu kommt schulischerseits eine ablehnende Haltung insbesondere gegenüber denjenigen Sportarten, die einen frühen leistungssportlichen Einstieg praktizieren (genannt werden vor allem Kunstturnen, Rollkunstlauf und Trampolin).

 

Im Prinzip können auch Gründe, die unter der Kategorie 'Überforderung der Lehrer' subsumiert werden, in diesem Zusammenhang angeführt werden: Die Verbindung zwischen fehlendem schulischen Interesse und der Kompetenz des Kontaktlehrers ist zumindest naheliegend. Weiterhin kommen Überforderungssituationen aus der Sicht der TFG-Leiter dadurch zustande, daß der "Sport für Sportlehrer zu aufwendig" sei und der Lehrer "Angst wegen der Aufsichtspflicht" (z.B. Orientierungslauf) habe.

 

Als erstes Fazit läßt sich demnach feststellen, daß eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit von Schule und Sportverein im Leistungssport, insbesondere durch die Einrichtung und gemeinsame Betreuung von TAG und TFG, unabdingbar ist: Ohne sie ist eine Reihe von Sportarten in diesem Kooperationsfeld eklatant benachteiligt. Darüberhinaus müssen innerhalb des institutionalisierten Rahmens sportartspezifische Strategien für eine Kooperation mit Schulen entwickelt werden, die die oben angeführten Informations- und Kompetenzdefizite in der Schule berücksichtigen. Schließlich kann die Schule zur Kooperation nicht verpflichtet werden - sie tut dies freiwillig und muß deshalb davon überzeugt sein oder überzeugt werden!

 

3.3     Vernetzung mit Aktivitäten des Vereins

 

Im Vergleich zur Vernetzung der TFG mit schulischen Programmen oder Kooperationsprogrammen fällt die Verbindungsdichte von 83,9% mit Vereinsaktivitäten erwartungsgemäß hoch aus. Vergleichsweise schwach sind die Werte in den Sportarten Fußball, Handball und Tischtennis und auch bei der Bewertung der Zusammenarbeit schneiden die drei genannten Sportarten in Relation zum Gesamtmittelwert von 1,5 schlechter ab (MW=1,9; 2,1 und 1,8). Diese Ergebnisse weisen auf eine Folgewirkung unterschiedlicher Fachverbandskonzeptionen bezüglich des TFG-Systems hin. Entweder wird ein regionales Talentsichtungssystem praktiziert, indem eine TFG aus den Teilnehmern verschiedener Vereine rekrutiert wird, oder es wird eine TFG in engem Verbund mit einem leistungsstarken Verein eingerichtet (vgl. Abb. 3), die zumeist eine Zuführungsgruppe in Zusammenarbeit von Schule und Verein als Unterbau aufweist.

 

 

Abb. 3: Vernetzungsmodelle zwischen Talentfördergruppen und Talentaufbaugruppen

 

Wird ein Talentsichtungssystem praktiziert, ist strukturell die Notwendigkeit gegeben, die Kontakte mit den Vereinen zu verbessern - zweifellos eine seitens der Fachverbände konzeptionell zu berücksichtigende Aufgabe. Hinzu kommt die Gefahr, aufgrund strukturell nicht vorgesehener direkter Kontakte (diese bestehen nur zu den angebundenen Vereinen - vgl. Abb. 3) den Partner Schule zu vernachlässigen. Beispielhaft hierzu die Aussage eines Handball-TFG-Leiters: "In der TFG sind nur Spieler, die auch in Vereinen spielen. Für die Kooperation Schule/Verein sind die Vereine selber zuständig. Die TFG ist nicht dafür da, Spieler zu gewinnen, sondern um vorhandene Spieler zu fördern." Zum Teil ist in den Antworten auch eine nicht angebrachte Überheblichkeit erkennbar, wenn etwa ein TFG-Leiter anführt: "Eine Zusammenarbeit ist nicht vonnöten. Begabte Spieler spielen schon im Verein Fußball." Andererseits kommt auch Nachdenklichkeit zum Ausdruck: "Die Möglichkeit der Zusammenarbeit der TFG mit der Kooperationsgruppe wurde tatsächlich etwas bei uns verschlafen. Wenn ich allein an die vielen relativ guten Fußballer denke, die unsere Schule besuchen/besuchten, so wäre dies durchaus sinnvoll und erfolgversprechend gewesen." Hier wird deutlich, daß TFG-Leiter in den Sportarten, die ein Talentsichtungskonzept verfolgen, eine wichtige Funktion als Leistungssportkoordinatoren haben, die nicht nur die Kontakte zu den angebundenen Vereinen, sondern auch wiederum deren Kontakte zu den TAG steuern müssen.

 

3.4     Einbindung der Talentfördergruppen in die Förderung des leistungssportlichen Nachwuchses

 

Die Einbindung der TFG in die Talentförderstrukturen der Fachverbände ist durchweg vorhanden: 97,3% der TFG-Leiter bestätigten dies, wobei mit Ausnahme der Sportarten Wasserball und Triathlon alle Sportarten durchschnittlich über 90% votierten. Die Kontakt- und Förderungsmaßnahmen sind vielfältig, genannt werden vor allem sportartspezifische Aus- und Fortbildungslehrgänge, Fördergruppenwettbewerbe, Mitarbeit der TFG-Leiter bei Fachverbandssichtungen, Zusammenarbeit mit den Landes- und Honorartrainern, Abstimmung der Trainingskonzepte. Hinzu kommen durch den Landessportverband/LA-L oder die Sportbünde initiierte Maßnahmen, die von 44,6% aller TFG-Leiter angegeben werden. Dabei handelt es sich in der Regel um Fortbildungsangebote zu fachverbandsübergreifenden Themen.

 

Besonders hervorzuheben sind die Trainingsmöglichkeiten von TFG-Mit-gliedern in zentralen Einrichtungen zur Förderung des Leistungssports. Ein Überblick wird in Tabelle 2 gegeben.

 

 

Tab. 2: Bindung der Talentfördergruppe an Einrichtungen des organisierten Sports (Mehrfachangaben) - OSP: Olympiastützpunkt;                 BLZ: Bundesleistungs-zentrum; BSP: Bundes-stütz-punkt; LLZ: Landesleistungszentrum; LSP-1/2: Landesstützpunkte 1. oder 2.                 Kategorie

 

Es wird deutlich, daß die TFG in Sportarten wie Eiskunstlauf, Gerätturnen und Judo eine relativ hohe Verzahnung mit zentralen Einrichtungen besitzt. Weniger ausgeprägt ist dies hingegen bei Sportarten wie der Leichtathletik, die eine eher flächendeckende, landesweite TFG-Versorgung praktizieren, wobei die Leichtathletik-TFG in 84,8% der Fälle an einen leistungsstarken Verein angebunden ist. Eine Ausnahme stellt Fußball dar, dessen Talentfördersystem kaum Berührungspunkte mit zentralen Einrichtungen des Sports aufweist - die eigenen Strukturen sind meist ausreichend - und auch nicht an die Vereine (15,2% der Fälle) gebunden ist.

 

Der hohe Grad der Vernetzung mit weiterführenden Angeboten spiegelt sich auch in der Bewertung der Zusammenarbeit mit dem Fachverband/LA-L mit Mittelwerten von 1,1 (Kunstradsport, Rollsport) bis 2,1 (Volley-ball und Rudern) wider. Geht man von einem Neutralwert von 2,5 (Mittelwert der verwendeten vierstufigen Skala) aus, sind die Konzepte der Fachverbände zur Einbindung der TFG funktional in hohem Maße wirksam, wenn auch im Einzelfall noch verbesserungswürdig. Angesichts der durchweg positiv beurteilten Angebotsstruktur an fortführenden Maßnahmen konzentrieren sich Verbesserungsvorschläge der TFG-Leiter überwiegend auf den Informationsfluß, der sich einerseits auf fachliche Belange (z.B. Rahmentrainingspläne, neuere Fachliteratur, Fachverbandsinformationen), andererseits aber vor allem auf Rückmeldungen zu den an Sichtungslehrgängen teilnehmenden TFG-Mitgliedern bezieht.

 

4     Perspektiven

 

Im Mittelpunkt dieses Beitrags stand die Frage der Verortung des TFG-Systems in leistungssportlichen Förderkonzepten. Es ist deutlich geworden, daß das TFG-System in allen Bundesländern eine wichtige Brückenfunktion zwischen einer breit angelegten Talentsuche und Talentförderung an der Basis und den hochselegierten Kaderstrukturen der leistungssportlichen Nachwuchsförderung innehat. Richtet man sein Augenmerk auf die Basis, dann ist die Schule als aktiver Partner unabdingbar. In einzelnen Bundesländern stellen sich die Strukturen der Zusammenarbeit so dar, daß das TFG-System durch landesweit eingerichtete Talentaufbaugruppen bzw. leistungsorientierte Kooperationsgruppen im Rahmen von Landeskooperationsprogrammen Schule & Sportverein gestützt wird.

 

Ob eine solche Ausdifferenzierung und zugleich Institutionalisierung notwendig ist, wurde am Beispiel der Talentfördergruppenstudie Baden-Württembergs untersucht. Die Ergebnisse zeigen, daß die dortige Verknüpfung des Talentfördersystems mit Kooperationsprogrammen von Schule & Sportverein beachtlich ist und somit ein praktisches Erfordernis darstellt, schließlich kam die Verbindung beider Systeme bisher ohne konzeptionelle Schützenhilfe aus. Die Befunde zeigen weiterhin, daß das Landeskooperationsprogramm die wesentliche und für viele Sportarten, die nicht Gegenstand des Sportunterrichts oder in schulsportliche Wettkämpfe wie JTFO eingebunden sind, die einzige Möglichkeit des Kontaktaufbaus mit Schulen darstellt. Länder wie Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Saarland, die z.T. seit längerem einen systematischen Aufbau institutionalisierter Förderstrukturen betreiben, sind auf dem richtigen Weg.

 

Auf Basis der hier vorgestellten Studie folgen weitere Auswertungsschritte, die sich mit der Effektivität und Effizienz einzelner TFG im Hinblick auf Grade der Vernetzung beschäftigen werden. Die Frage, ob TFG mit einem hohen Vernetzungsgrad die erfolgreicheren sind, wird dann auch im Vergleich zu anderen Faktoren wie beispielsweise Trainingsumfang, Trainerqualifikation, Sichtungskriterien, strukturelles Umfeld oder Finanzierungsmöglichkeiten geprüft. Es sollen die Faktoren herausgestellt werden, die eine effiziente Talentförderung in der TFG kennzeichnen und einen signifikanten Leistungsnachweis zur primären Aufgabenstellung der TFG - deren Effektivität - erlauben, nämlich die TFG-Mitglieder in den D-Kader zu führen. Die Ergebnisse dieser Effektivitäts- und Effizienzprüfung werden zusammen mit einer Darstellung der TFG-Strukturen in einem späteren Beitrag in dieser Zeitschrift veröffentlicht.

 

3     Anmerkungen

1     Landeskooperationsprogramme fördern gemeinsam von Schule und Sportverein durchgeführte und langfristig angelegte        Spiel-, Übungs- und Trainingsgruppen (vgl. ausführlich in FESSLER/RIEDER 1997)

2     Vgl. die entsprechenden Veröffentlichungen von Kultusministerium und Landessportbund Nordrhein-Westfalen.

3     Für folgende Sportarten wurden bereits die Rahmentrainingspläne veröffentlicht (Stand: 1996): Basketball, Eishockey,        Fechten, Gewichtheben, Hockey, Kanusport, Kunstturnen, Schwimmen und Volleyball. Wettkampkonzeptionen liegen        vor für Hockey und Tennis. Die Broschüren sind über den Landessportbund zu beziehen.

4     Die Untersuchung war insgesamt darauf ausgerichtet, eine Übersicht über das System der anfänglichen Talentförderung in        Baden-Württemberg zu erstellen, Einblick in die internen Strukturen sowie die Einbindung der TFG in die jeweilige        Struktur des Fachverbandes zu erhalten und die Effektivität und Effizienz von TFG zu prüfen.

5     In Baden-Württemberg sind dies folgende 16 Sportarten: Badminton, Basketball, Fechten, Fußball, Gerätturnen, Hockey,        Judo, Leichtathletik, Rhythmische Sportgymnastik, Rudern, Schwimmen, Ski-nordisch, Tennis, Tischtennis und Volleyball

4     Literatur
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Author: Christoph Igel